Menschliche Säuglinge sind seit Urzeiten Traglinge. Sie kommen noch „unfertig“ zur Welt und sind auf die ständige Betreuung durch Mutter und/oder Vater angewiesen. Nach neun Monaten voll Wärme, Bewegung und ständigem Kontakt zur Mutter ist die Geburt eine große Veränderung. Babys haben auch nach der Geburt ein großes Bedürfnis nach direktem körperlichen Kontakt und das Tragen „Körper an Körper“ erfüllt dieses intensive Bedürfnis des Babys nach Wärme, Nähe und Geborgenheit.

Getragene Babys sind zufriedene Babys: nachgewiesenermaßen haben getragene Babys eine regelmäßigere Herzfrequenz als Kinder, die in einem Kinderwagen geschoben werden. Der Rhythmus der mütterlichen Schritte und ihr regelmäßiger Herzschlag tragen dazu bei, ein Kind im Kinderwagen muss hingegen ganz alleine mit unregelmäßigen Stößen und Vibrationen fertig werden, ohne die mütterliche „Taktgeberin“. Der Schock der Umgebungsveränderung nach der Geburt wird abgemildert, wenn man sein Kind in einem Tragetuch trägt. Geräusche werden ähnlich wahrgenommen wie im Mutterleib, auch das fest gebundene Tuch vermittelt das vertraute Gefühl von Enge wie im Mutterleib. Der schon erwähnte Herzschlag und der vertraute Geruch der Mutter tun ihr übriges, um die elementarsten Bedürfnisse des Kindes zu erfüllen und es zu einem zufriedenen Baby zu machen.

Auch am kindlichen Körperbau weist vieles darauf hin, dass ein Menschenkind als Tragling geboren wird. Beobachtet man einen Säugling, so fällt auf, dass er seine Beine anwinkelt und leicht spreizt. Die Hüftgelenke sind nach vorne orientiert und die Beine werden in einem Winkel von ca. 90° (bei Neugeborenen oft auch noch weniger) gespreizt und in einem Winkel von ca. 100° nach vorne oben angehockt. Diese Haltung nennt man Anhock-Spreiz-Haltung (ASH).  Auch der Moro-Reflex (Klammer-Reflex) und der Palma-Reflex (Säugling ballt die Faust, sobald seine Handfläche berührt wird) sind Zeichen dafür, dass das Menschenkind zum Jungentyps Tragling (neben den Jungentypen Nesthocker und Nestflüchter) zählt.

Zwei Drittel der Weltbevölkerung – hauptsächlich in den traditionell orientierten Kulturen Asiens und Afrikas sowie Lateinamerikas – tragen auch heute noch Ihre Babies und Kinder. Getragen wurden Kinder aber nicht nur bei den so genannten Urvölkern, sondern auch in Europa bis ins 19. Jahrhundert hinein, ehe der Kinderwagen um die Mitte des 19. Jahrhunderts modern wurde. Dies belegen viele historische Gemälde und Wandbilder.

Der Kinderwagen ist eine englische Erfindung, britische Wagenmacher bauten das erste dreirädrige Modell. Bald entwickelt sich die Erfindung zum Statussymbol und das Tragen galt als ordinär und geriet dann irgendwann in Vergessenheit. Jedenfalls bei den Eltern. Aber auch die Babys von heute haben das Tragling-Dasein noch im Blut, zum einen wegen ihrer kollektiven Entwicklungsgeschichte, zum anderen durch neun Monate Schaukeln im Mutterbauch. Selbst wenn sich die Hersteller noch so sehr um Bequemlichkeit bemühen: Der Kinderwagen schafft nur kümmerlichen Ersatz. In den Armen eines vertrauten, warmen und atmenden Menschen getragen zu werden fühlt sich eben anders an, als einen Meter vor diesem im Kinderwagen gefahren zu werden, abgeschnitten von der Außenwelt.

 

Vorteile des Tragens für das Kind:

  • Der Anpassungschock ist viel geringer, das Baby findet vieles wieder, was es bereits aus dem Mutterleib kennt: es hört die gleichen Geräusche (Herzschlag, gedämpfte Stimme der Mutter, gedämpfte Umgebungsgeräusche), kann die gleiche Haltung einnehmen.
  • Der gesamte Bewegungsapparat des Kindes profitiert vom Getragen werden: das Kind „arbeitet“ während des Tragens mit, seine Muskeln erhalten öfter Impulse, daraus resultiert eine bessere Durchblutung und daraus ein bessere Bildung von Knochen, Gelenken und Muskeln.
  • Lebenswichtige Funktionen wie Atmung, Verdauung und Kreislauf werden durch das Tragen angeregt Die Eltern fungieren hier als „Taktgeber“.
  • Eltern helfen bei der Wärmeregulation: der Körper der tragenden Person fungiert als Klimaanlage und kann das Kind bei Hitze oder Fieber kühlen und bei Kälte wärmen. Diese Funktion ist vor allem in den ersten Lebenswochen wichtig, in denen das Kind seine Körpertemperatur noch nicht selbständig regulieren kann!
  • Durch die beiden vorigen Punkte ergibt sich eine bessere Entwicklung des Immunsystemes und eine Anregung des gesamten Stoffwechsels: Die dauernde Bewegung im Tuch fördert nämlich nicht nur die gesunde Entwicklung des Bewegungsapparates, sondern auch den Stoffwechsel.
  • Das Tragen hilft bei einer optimalen Vernetzung im Gehirn: Das getragene Kind erhält Reize visueller, taktiler, kinästhetischer und vestibulärer Art, die es im Kinderwagen liegend nicht erhalten würde. Es stellt daher mehr und andere Vernetzung her, die Synapsenbildung wird angeregt. Das Kleinhirn ist für die Bewegungsabläufe, Nerven, Gleichgewichtssinn und das Großhirn für die Sinneseindrücke zuständig. Beide Gehirnhälften werden durch das Tragen optimal stimuliert und es entstehen viele Synapsen.
  • Weil das Bedürfnis nach Körperkontakt befriedigt wird, wird das Urvertrauen gefestigt. Dieses wiederum ist notwendig für einen selbstbewussten Umgang mit Personen und (Angst-)Situationen. Tragen kann daher zu einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung beitragen.
  • In diesem Zusammenhang ist auch eine verbesserte Sozialisation zu nennen. Das getragene Kind ist von Anfang an in den Alltag integriert, es erlebt und lernt, wie die tragende Person mit Situationen, Mitmenschen, besonderen Gegebenheiten umgeht. Das alles kann es auf Augenhöhe zu seinen Mitmenschen erleben und ist dadurch gleichberechtigter als ein Kind im Kinderwagen.
  • Die Eltern sprechen mit einem getragenen Kind mehr und streicheln es öfter. Ein getragenes Kind hat Vorteile bei der Sprachentwicklung, es profitiert vom ständigen Zuhören, Sprache ist von Beginn an etwas sehr Vertrautes und Alltägliches.
  • Ein getragenes Kind profitiert auf ganzheitliche Weise an Körper und Seele vom Getragen werden.

 

Vorteile für die Eltern:

  • Beide Hände sind frei, um zu tun, was man möchte: Haushalt, Einkaufen gehen, spielen mit älteren Geschwistern… Das Kind ist trotzdem immer dabei.
  • Man spürt die Bedürfnisse des Kindes eher, kann sich gut auf das Kind einstellen, findet schneller zueinander und zu einem gemeinsamen Rhythmus. Im Alltag kehrt dadurch schneller wieder Normalität ein und Arbeiten müssen nicht in der Schlafphase des Babys erledigt werden. Das Kind wird dem Alltag angepaßt und nicht umgekehrt.
  • Das Kind steht durch das Tragen nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Das Kind ist zwar am Körper der tragenden Person, lernt aber von Beginn an, dass es nicht immer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehtn. Die Aufmerksamkeit der tragenden Person ist auf ihre Arbeit gerichtet, das Kind meldet sich bei Bedürfnissen, wird dafür dann aber auch ernst genommen. Das Kind lernt dabei zu warten, ohne schreien zu müssen.
  • Eltern sind viel beweglicher und mobiler: Mit einem Tragetuch oder eine Tragehilfe kommt man überall durch! Bergtouren, Stadtdschungel, Waldspaziergänge, öffentliche Verkehrsmittel.

 

Quelle: www.kaenguru.ch